Bericht von Karl Putz dessen Familie bis zum Jahre 1945 im Hause des Essigfabrikaten Uhl in der Schanzstraße 45 wohnten.

Entnommen der Egerer Zeitung Jahrgang 46, Nr. 4 April 1995:

Der 8. April 1945 ein schwarzer Tag für unsere Stadt Eger

Wie ich den schweren Bombenangriff erlebte

 

Es gibt im Leben Zufälle, aber auch Fügungen, jeder von uns könnte darüber berichten. Für mich war es Zufall, daß ich mich am Tage des schweren Bombenangriffes zu Hause aufhalten konnte, da ich doch Soldat war und eigentlich an irgendeinem Frontabschnitt im Einsatz hätte sein müssen.

Doch durch eine Verwundung beim Abwehrkampf des Brückenkopfes Stettin kam ich Ende Februar 1945 nach Eisenach in ein Hilfslazarett. Der dortige Aufenthalt wurde jedoch durch den Vormarsch der amerikanischen Truppen jäh beendet. Wer transportfähig war, mußte innerhalb von Stunden die Stadt verlassen. Ich mußte

sofort abreisen, denn die Bahnstrecke Richtung Hof—Eger war noch frei. Mit einem Verwundetenurlaubsschein traf ich am 30. März, unbehelligt von Tieffliegern. am Egerer Bahnhof ein. Ein frohes Gefühl befiel mich, daheim zu sein, in einer unzerstörten Stadt, ohne Trümmer und Schäden, nicht ahnend, daß ich das Bahnhofsviertel zum letzten Mal heil gesehen hatte.

Zu dieser Zeit war ich 19 Jahre alt und wohnte bei meinen Eltern in der Schanzstraße Nr. 45. Die Tage vergingen wie im Flug. Das Frühlingswetter meinte es gut, nur die Radioberichte über das Kriegsgeschehen ließen Unheil erwarten. So kam es zum 8. April 1945. Es war ein Sonntag und sollte auch ein Schicksalstag unserer Heimatstadt werden. Am späten Vormittag heulten plötzlich wieder einmal die Luftschutzsirenen. Man war nicht bereit, sofort die Luftschutzkeller aufzusuchen, der helle Tag ließ einen Angriff nicht erwarten. Man unterhielt sich, teils vor dem Haus, teils im Hof. Doch plötzlich ein nochmaliges kurzes Heulen der Sirenen und schon hörte man das anschwellende Dröhnen von Flugzeugmotoren.

Alle rannten nun in ihre Keller, so auch ich. Unsere Kellerdecke war durch Holzbohlen abgestützt, das beengte zwar den Schutzraum, gab aber mehr ein Gefühl der Sicherheit. Alle anwesenden Hausbewohner saßen eng beieinander, ein Deckenlicht erhellte den Luftschutzraum. Ängstlich hörten wir die immer stärker werdenden Motorengeräusche und dann ging es los! Waren es anfänglich nur dumpfe Detonationen und deren Druckwellen, die wir spürten, so kamen diese Einschläge immer näher und plötzlich ein Heulen und Krachen, ein Prasseln und Wändeschütteln!

Im Nu war der Keller stockfinster und völlig in einen Staubwolke eingehüllt. Einige Hausbewohner schrien laut auf und um Hilfe, es gab kaum mehr Luft zum Atmen. Doch auf einmal herrschte Stille, fast unerträglich. Es folgten keine weiteren Einschläge, nur das leiser werdende Flugmotorengeräusch drang an unsere Ohren. Nun entzündete mein Vater eine Kerze. die kaum aufflammte, und hieß uns, Taschentücher in den bereitstehenden Wassereimer tauchen und über Mund und Augen zu legen, denn der Mauerstaub bereitete erhebliche Atmungsschwierigkeiten. Sofort eilten wir an die Kellerfenster. um frische Luft einzulassen, doch es war keine Öffnung frei, Mauerteile und Schutt lagen davor. Nun stiegen wir mit Schaufeln und Pickeln zum Kellerausgang hinauf, aber die Kellertüre ließ sich nicht öffnen. Wir zerschlugen diese und schon fielen Mauerbrocken uns entgegen. Glücklicherweise war diese Tür nicht ganz verschüttet, so daß wir bald ins Freie gelangen konnten. Zuerst halfen wir den Frauen die Treppe hinauf und dann rannten wir in den Hof. um nachzusehen. Unser Hausdach war stark beschädigt und brannte bereits an mehreren Stellen. Das angrenzende Nachbarhaus Nr. 47 hatte es voll erwischt. Durch Bombentreffer war es teils eingestürzt. Im unweit befindlichen Lagerhaus an der Holdorffstraße brannte es hellauf.

Wir stürmten mit Eimern und Feuerpatschen durch den beschädigten Hausflur zum Dachboden hinauf. Und welch ein Anblick. Etwa 15 bis 20 Brandbomben steckten in den Bodenbrettern und brannten lichterloh. Rauchschwaden zogen auf, gegen die hitzestarken Phosphorstäbe waren wir mit unseren primitiven Löschgeräten machtlos. Während die uns gegenüberliegenden Wohnhäuser verschont geblieben waren, sah ich starke Rauchentwicklung zum Gloria-Kino hin und vor allem Richtung Bahnhofsviertel. Unser Hausbesitzer, Essigfabrikant Uhl, bemühte sich zwar um Feuerwehrhilfe, doch es war aussichtslos. Im weiteren Bahnhofsbereich und am Heiligen Berg brannte es überall.

So machten wir uns daran, das Nötigste unserer Wohnungseinrichtungen in den weiten Hofraum zu tragen. Und dabei kam es nun zu einer glücklichen Fügung. Wir wohnten im Erdgeschoß und konnten aus dem zur Schanzstraße gelegenen Wohn- und Elternschlafzimmer mehrmals Hab und Gut heraustragen, auch das Wenige unserer mit in der Wohnung untergebrachten Flüchtlingsfrau und ihrem Kleinkind aus Schlesien. Und als mein Vater und ich gerade wieder das Schlafzimmer verlassen hatten, gab es eine fürchterliche Detonation. Wir rannten zurück, rissen die Schlafzimmertüre auf und blickten ins Leere. Es waren nur noch die vier Wände da. von oben bis zum Keller war dieser Hausteil durchgebrochen, der Schutt rauchte auf. Der Schreck saß uns in den Gliedern. wir rannten hinaus, in banger Erwartung einer weiteren Zeitzünderdetonation. Nun durfte niemand mehr das Haus betreten. Hilflos schauten wir dem Dachbrand zu. Erst nach Stunden konnten wir wieder ins Haus und die Bergungsaktionen fortsetzen.

Das war das Ende einer jahrelangen guten Hausgemeinschaft. Meine Eltern fanden Unterschlupf bei der uns bekannten Familie Brusch in der Nürnberger Straße. Unser Wohnhaus brannte schließlich ganz aus, das bombardierte Nachbarhaus lag in Trümmern. Zwei gut intakte Bürgerhäuser waren zerstört.

Nachdem zwischen Schanzstraße und Gänsbühlstraße kaum Bombenschäden zu beklagen waren, ist anzunehmen, daß einige wenige Flugzeuge ziellos sich ihrer tödlichen Fracht entledigten. Und welch ein Glück für die historische Altstadt. Die Bombentreffer in den Häusern der Schanzstraße 45 und 47 waren die am nächsten gelegenen Einschläge. Die tschechischen Behörden haben irgendwann, ich glaube Mitte der 60er Jahre, radikal abgerissen. Auf dem Grundstück des früheren Lagerhauses steht ein elfstöckiges Hochhaus. Die Ruinen der Schanzstraße 45 und 47 sowie alle weiteren Häuser bis zur Opitzstraße und ein Teil des Unteren Schiller-Rings mußten größeren Wohnblöcken weichen.

So ist das Stadtviertel im Bereich der unteren Schanzstraße heute nur noch ein Teil der Erinnerungen an unsere frühere Heimatstadt.

 

Karl Putz

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