Das Werk des Malers der Gedenkhalle in Eger

Mit diesem Beinamen wird Franz Gruß in die Kunstgeschichte eingehen. Das monumentale Fresko in der St.-Klara-Kirche stellt uns den Gipfel seiner Kunst vor Augen, in den sein Schaffen nach dem ungeheuren Erlebnis des ersten Weltkrieges einmündet. Ich konnte als Mitgefangener Gruß’ in Rußland das Werden dieses monumentalen Werkes von seiner Keimzelle bis zur Vollendung beobachten. Wir trafen uns zum ersten Male in dem berüchtigsten Gefangenenlager des Krieges, das uns Dwinger in seinem Roman: „Die Armee hinter Stacheldraht“ beschreibt, in dem Lager von Totzkoie a. d. Samarka. Wohl waren die furchtbaren Ereignisse, die sich dort abspielten, für uns nur mehr eine grauenerregende Sage, denn wir waren erst hierhergekommen, als der Vorhang nach dem scheußlichen Trauerspiel schon gefallen war. Wir spürten noch die Luft dieser gestorbenen Seelen, aber wir atmeten die Luft des neuen Lebens. Die Seuche war erloschen.

In diese Welt hinein bauten die Gefangenen ihre hölzerne Gedächtniskapelle, und in diese Kapelle hinein malte Franz Gruß seinen ersten Soldaten - Christus.

Es war ein österreichischer Jesus, und die Gesichter der Soldaten, die in sein mildes Antlitz vertrauend emporblickten, waren unverkennbar österreichische Soldaten. Gefangene in ihren grauen Mänteln und ihren österreichischen Soldatenmützen, die heute auch das neue Bundesheer trägt.

Wieder traf ich Gruß in seiner Heimat, in Graslitz, in Silberbach, in seinem Blockhaus, dessen Grundmauern ihm vom Grafen Nostitz geschenkt worden waren, malend, skizzierend, Entwürfe zeichnend. Ich sah das Original des Pflügers, des Ackermanns von Böhmen, des Ackermanns des Egerländer Gebirges im Salon meiner Schwägerin hängen, dessen Reproduktion dann in allen Egerländer Zeitungen und Kalendern zu sehen war. Dieser Ackermann des neuen Lebens, dessen Stiere den Boden des Berges mit gezähmter Kraft pflügen, war ein Symbol der ungebrochenen Kraft der Deutschen in diesem Lande, sowie Gruß’ Kraft nicht gebrochen war durch die lange Gefangenschaft, ja im Gegenteil, gesteigert und erstarkt, bereit zu den höchsten Flügen nach den Sternen.

Ich sah die ersten Entwürfe für das Egerer Fresko, die Mutter mit dem Kind, die den Krieger erwartete mit der Sehnsucht des treuesten Weibes, ich sah die Mutter mit dem Kind vor dem Leichnam des teuersten Mannes, einen anderen Entwurf, Klage genannt. Zahllose Studien des menschlichen Körpers begleiteten alle diese Vorarbeiten, so daß man sehen konnte, wie sein ganzes Schaffen dem großen Ziel konzentrisch entgegenstrebt.

Auch die Themen, die er behandelt, zeigen das. Es sind Anklagen gegen das Schicksal, echte Nachkriegsthemen, Anklagen und Klagen. Da ist das Bild, das er Anklage nennt: das Bild einer zentral gezeichneten hohen weiblichen Gestalt, die über auf dem Boden liegende und kauernde, verkrampfte Jünglingsgestalten mit ausgestreckten Armen dahinschreitet: „Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an“, könnte man es auch nennen (1926). Den ersten Entwurf zum Egerer Fresko nennt der Künstler auch »Klage« (1926). Da war schon 1923 das Bild »Die Ertrunkene«. Drei höbe Jünglingsgestalten stehen am Flusse vor einer schönen toten Frau. Die gesenkten Häupter, die Haltung der Arme sprechen von dem liefen Leid, das die jungen Menschen erschüttert. »Der Abgestürzte« (1923) ist ein Gegenstück. Wieder drei Männer im Vordergrund eines Bergriesen an der Seite ihres verunglückten Kameraden. Der Ausdruck der Erschütterung wird immer wuchtender. »Der Schmerzensmann« 1924 gehört in Zeit und Darstellung in diese Erlebenssphäre.

Die Erlebnisgrundlage dieser Bilder, der männermordende Krieg, rückt immer weiter in den Hintergrund der Tätigkeit des Künstlers und der Himmel heitert sich immer mehr auf. Die Sonne des Lebens beginnt wieder zustrahlen. Kinderköpfl (1923) noch nachdenklich, Kinder im Strauch (1931), Mädchen (1927) nachdenklich und freundlich, Mutter, glücklich (1928), Kinderbildnis (1931), Familie I U927) Familie II (1931) sprechen von dem neuen Glücksgefühl des wiedererwachten Lebens. Zur Familie kommt man durch die Begegnung I (1929), Begegnung II (1931) der Geschlechter.

Der Jüngling und das Mädchen begegnen sich zur Erfüllung ihres Lebens. Man muß es sehen, wie Gruß das Thema behandelt, um eine Vorstellung zu bekommen, wie moderne Kunst das Ewige, das Wesentliche behandeln kann, nicht wie man es jetzt in den Kunstausstellungen der Großstädte sieht, als abstrakte Kunst, die das Wesentliche abstrahiert, so daß der Unsinn des Lebens Gestalt annimmt. Gruß’ Gestalten tragen keine konventionelle Kleidung, das Gewand ist zeitlos bei ihm, der Kostümkundige könnte aus ihr keine Zeitepoche bestimmen. Dafür sprechen die Linien, die Haltung, sie erwachen bei ihm wie bei keinem zum Leben. So nennt er eines seiner Bilder, das in Furth i. W. und in Amberg zu sehen war: »Die Frage«. Wer in Bayreuth gesehen hat, wie Wieland Wagner inszeniert, kann sich eine Vorstellung von Gruß’ Art machen. Er will dadurch jede Ablenkung vom wesentlichen vermeiden. Nur ist das bei Wagner eine andere Sache. Dort hat der Künstler eine so berauschende Musik zu seinen Gestalten geschrieben, daß diese von den glänzenden ritterlichen Gestalten ablenkt, die sich der Künstler Wagner so vorgestellt hat, wie er sie seinerzeit singen ließ und von dieser Tradition darf nicht abgegangen werden, ohne Schiffbruch zu erleiden, weil sie mit dem Kunstwerk jener Zeit ein einheitliches Ganzes bilden. Genau so dürfte man Gruß’ Gestalten keine konventionellen Rahmen geben, weil sie eben nicht dazu gedacht sind.

So sehr die Titel dieser Bilder abstrakt klingen, so sehr sind die Bilder Spiegelungen des wahren Lebens und zugleich Visionen des Lebens. Selbst wenn er sein Blockhaus mit Berg im Winterkleide malt (1925) oder die Holzschleifer in winterlicher Gebirgslandschaft, oder seine Mutter, den Schriftsteller Merker (1931) oder Sonnenblumen (1930, Städtische Galerie in Regensburg), oder den Egerländer Tanz (von Minister Seebohm gekauft), hebt er die Landschaft und die Person aus dem Rahmen des Tatsächlichen heraus und rückt sie in die Sphäre des ewig Gesetzlichen.

Franz Gruß beim Malen am Egerer Fresko. (Dem Bilderband »Graslitz, die klingende Stadt« mit Genehmigung des Kolb-Verlages entnommen.)

Gruß ist der Held zweier Bücher. In dem ersten wird seine Kunst geschildert und untersucht. Es ist von Franz Höller und im Verlag Kraft in Karlsbad erschienen. Das Fresko in der Gedenkhalle war zwar schon geplant, aber noch nicht ausgeführt. Da Ilöller schon wieder ein Buch bei Kraft erscheinen ließ, wäre zu wünschen, wenn er das Buch über Gruß ergänzen würde, da die Verlagsbestände in Karlsbad ja verloren gingen. Höller war bekanntlich die führende Stimme in dem Chor der Dichter der sudetendeutschen Kampfeszeit vor dem Anschluß. Er sammelte die politischen Gedichte seiner Mitkämpfer in den »Kameraden der Zeit«, schrieb ein Schilldrama, in dem von der Abstammung Schills aus dem Egerlande (Weseritzer Gegend) gesprochen wird und eine »Kantate des Lebens«, die Verwandtschaft mit Rilke zeigt. Das zweite ist »Der dumme Sibiriak«, von Bruno Brehm, seinem Freunde. Eigentlich müßte es Sibiriaken heißen, die Gruß übertölpelte, als er in der Gefangenschaft einen gelungenen Streich ganz auf sich nahm und vors Kriegsgericht kam, aus welcher mißlichen Lage ihn die Furcht der Russen vor einem Skandal rettete. Die Geschichte ist im Reklam erschienen und wird hoffentlich bald wieder zu haben sein zu unserem Gaudium.

Die Kunst unseres Malers muß auch in die seiner Zeit hineingestellt werden, um verstanden zu sein. Wer denkt, wenn er die seligen Leiber der zu ihrem Christ hinaufschwebenden Soldaten in der Gedenkhalle sieht, nicht an die Offiziere Schills von Hodler oder wer würde den »Heuer« nicht für einen echten Egger-Lienz halten, so groß ist die Kunst Gruß’. Und doch ist er weder ihr Schüler noch ahmt er sie nach. Die beiden Werke sind so vollendete Gruß wie nur eines. Er ist in der Auffassung seines Themas in ihre Nähe geraten und so ergibt sich zwangsmäßig eine verwandte Anschauung. Und wer die tanzenden Egerländer gesehen hat, wer ruft da nicht aus: „Ein Egerländer Bruegel“! Er wird zum Verwandten Bruegels, wenn er sich ähnliche Themen aussucht wie dieser. Auch seine Winterlandschaften sind denen Bruegels verwandt. Sie haben bei aller Bewegung etwas Lastendes, wir spüren den Schneetod auf der schlafenden Natur, bei Gruß noch mehr als bei Bruegel.

Heribert Sturm hat nicht umsonst sein schönes Werk mit dem Fresko der Egerer Gedenkhalle und der Schilderung dieses Werkes durch den Dichter Bruno Brehm beschlossen. Mil diesem Egerländer Kunstwerk starb das altehrwürdige Eger und das kultureile Egerland in Schönheit, um, wie wir fest glauben, einst in Kraft und Glanz wieder zu erstehen.

Informationen zu Franz Gruss aus der deutschen Version von Wikipedia:

Franz Gruss (* 3. Juni 1891 in Graslitz; + 28. September 1979 in Mistelbach bei Wien) war ein sudentendeutscher Maler und Zeichner

Gruss besuchte die Oberrealschule in Eger, wo er 1909 das Abitur ablegte. Bis 1914 wurde er an der Akademie der bildenden Künste Wien ausgebildet. Dort wurde er von Professor Delug betreut, der seinen Schülern jedoch mehr als Pädagoge galt, denn als künstlerische Persönlichkeit. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs rückte Gruss ein und geriet 1915 in russische Gefangenschaft, die er in Sibirien verbringen musste. Nach einem missglücktem Fluchtversuch gelang Gruss die Flucht im März 1918 und er kehrte noch vor Ende des Krieges nach Hause zurück. Nach dem Kriegszusammenbruch stand er vor der Wahl, eine festbezahlten Stelle als Mittelschullehrer anzunehmen oder sich endgültig der freien Kunst zu widmen und sich damit für eine materiell ungesicherte Zukunft zu entscheiden. So entstand eine Spannung zwischen Entbehrung und schöpferischer Tätigkeit. Bilder wie die Grablegung(1919) und die Kreuzabnahme(1920) entstanden in dieser Zeit.

Bis 1923 besuchte er wiederum die Meisterschule in Wien. 1924 kehrte er Wien den Rücken und errichtete ein eigenes Atelier in Silberbach bei Graslitz im Erzgebirge. 1926 wurde die Ausgestaltung der ehemaligen St.Clara-Kirche in Eger, die der Barockbauer Christoph Dientzenhofer entworfen hatte, zu einer Gedächtnisstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges für alle Sudetendeutschen Künstler ausgeschrieben. Dies war der bedeutendste Auftrag, der zu dieser Zeit für Künstler vergeben wurde. Unter den 22 eingereichten Entwürfen erhielt Gruss den 1. und 2. Preis und den Auftrag zur Ausführung, die allerdings erst 1936 erfolgte. Sein damaliges Lieblingsmodell, Maria Hildebrandt, heiratete 1930 den Juristen Walther Kastner, aus dessen Nachlass mehrere Werke, darunter ein Selbstbildnis von 1927, ins Oberösterreiche. Landesmuseum in Linz kamen.

Gruss beteiligte sich an mehreren Ausstellungen der Sezession in Wien. Darüber hinaus waren seine Werke in Eger (1930), Karlsbad, Brüx, Prag, Teplitiz Reichenberg, Wien, Breslau und Weiden/Opf. zu sehen. Die Vertreibung aus der Heimat führt ihn und seine Frau nach Wien. 1947 gestaltete er dort das Haus der Tischlerinnung mit einem Sgraffito. Es folgten Arbeiten im öffentlichen und kirchlichen Bereich. Reisen führen ihn nach Italien, Griechenland, Frankreich und Spanien. 1956 erhielt er die Norgau-Plakette. 1971 erschien eine Monographie von Raimund Atzinger im Kolb-Verlag Dettingen. 1974 fand im Egerland-Kulturhaus Marktredwitz eine Ausstellung zum Lebenswerk des Künstlers statt.

In der Kunstgalerie des Egerlandhauses in Marktredwitz sind zahlreiche Bilder von Franz Gruss ausgestellt.

Franz Gruss verstarb 1979 in Mistelbach, sein Grab befindet sich in am Sieveringer Friedhof in Wien.

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