Der Anger in Eger: Bericht von Leni Wunderlich, Egerer Zeitung 1956

Anger 1937 Anger 2005

St. Jodok am Anger

Die Vorstadt, die bei der Dammgasse oberhalb des Ankerstegs beginnt und sich der Eger entlang hinzieht, bis zur großen, steinernen Eisenbahnbrücke, dem Viadukt, die dem Bahnverkehr nach Hof und Plauen dient, war der am tiefsten gelegene Stadtteil. In den Plänen und Büchern sowohl der staatl. als auch der städt. Behörde gehörte er zum Schifftor. Mein Vaterhaus z. B. hatte die Nummer Schifftor 24. Das mußte man bei jeder Zahlung oder Eingabe angeben. Der Anger bestand aus der Dammgasse und der Jodokstraße, welche den großen Platz einschlossen, der in meiner Kindheit als Vergnügungsplatz, nach 1919 aber vom I. Arb. Schrebergärtner-Verein als Schrebergarten verwendet wurde. Das Grundstück gehörte zum Besitz der Angerer Hutweidegenossenschaft, die viele Teilhaber hatte. Den Großteil der Anteile hatte die Stadtgemeinde Eger. Den offiziellen Teil des Angers bildeten die Mühlen, z. B. Ottmühle, Hacklmühle (nicht mehr im Betrieb), die Steinschleiferei des Bildhauers Wilfert, auch außer Betrieb, die Fabriksanlagen der Fa. Bräuning, die Gärtnereien Wenig und Waidhas und noch ein paar Wohnhäuser am Fuß der Bismarckhöhe.

Vor 50 Jahren war der Anger ausgesprochen dörflich. Beinahe in jedem Hause gab es Vieh, vor allem waren es viel Kühe. Denn die Milch fand in der Stadt guten Absatz. Auch hatten die Mühlen immer starke Pferde in ihren Ställen, die sie ja in ihren Betrieben brauchten, sowohl die Ottmühle als auch die Schnabelmühle. An Geflügel fehlte es ebenfalls nicht, das hatte auf der Straße noch große Freiheit. In der Eger, die durch Abwässer noch nicht verschmutzt war, gab es noch viel mehr Fische: Hechten, Karpfen, Schleien, Flußbarsche, Barben, Aale und "Hiasling" und "Bear(n)ling" (ihr richtiger Name ist mir unbekannt) und am meisten gab es Weißfische, z. B. Rotaugen, Bratfische und "Schneiderla". Über diese konnten sich die Fischer immer ärgern, wenn es "genupft" hatte und ein Schneiderling dann am Haken! Da konnten die Sonntagsfischer manchmal fluchen. Weiter gab es in den Löchern der Ufermauern zahlreiche Wasserratten.

Die liebten wir ja gar nicht, aber sie ließen sich nicht vertreiben! Zu dieser Zeit war auch der Anger ein Stiefkind des damaligen Stadtparlaments. Er hatte die schlechteste Straßenbeleuchtung und die schlechtesten Wege. Für seine Belange war in der Stadtkassa selten einmal Geld. Ich habe deswegen von vielen Seiten bittere Klagen gehört - immer das gleiche Lied! Wir wurden ja oft gehänselt mit unserem drecketen Anger, mit unserem Dorf, mit unserer Einöde. Dabei war unser Anger oft recht belebt. Er war nämlich vor dem 1. Weltkrieg der Abstellplatz für den Vergnügungspark, die Schaukel, die Karusselle, Schießbuden, Zaubertheater, Zirkusse u. Menagerien.

Die letzteren gibt es jetzt gar nicht mehr, seit die größeren Städte ihre zoologischen Gärten haben. Da war am Anger oft einmal Hochbetrieb. Acht bis zehn Drehorgeln spielten zu gleicher Zeit und ließen ihre Schlager ertönen, der obere Teil des Platzes war von fröhlichen, ausgelassenen jungen Menschen bevölkert und das Lachen und Singen gab mit der Musik der Drehorgeln (Leierkasten sagten wir) ein richtiges Praterkonzert. Aber um 10 Uhr abends mußte am Sonntag Schluß sein, dafür sorgte die Polizei.

Und das war richtig! Die großen Zirkusse der damaligen Zeit, Sarasani, Holzberger. Schuhmann u. n. a. brachten immer viel Bewegung in unser Leben. Die Schaukeln und die Ringelspiele waren schon nicht mehr interessant für uns, aber bei einem Zirkus oder einer Menagerie gab es viel zu schauen. Schon die Auffahrt war eine Sensation. Bei den großen Wägen hingen meist sechs, manchmal auch acht Pferde in den Sielen und plagten sich, die Ungetüme durch Dreck und Morast auf den richtigen Platz zu bringen. Da gab es Peitschengeknall, Pferdegewieher und ellenlange Flüche. Dazu kam dann oft das Brüllen der Raubtiere und das Trompeten der Elefanten und das Schreien der Affen. So etwas konnte man nicht versäumen! Und erst die Leute - die Zwerge und Riesen, die Schwarzen und die Gelben, die Riesendame und der dumme August, wie waren sie alle interessant für uns!

Die Spediteure, z. B. H. Köhler (später Rasp), Blank und Blechschmied (Mühle) hatten alle Hände voll zu tun, um die Wägen alle möglichst bald auf den Platz zu bringen. Heute hat beinahe jeder Schausteller seine eigene Zugmaschine und der Transport geht nicht nur schneller, er geht auch ruhiger und schmerzloser vor sich. Die Elefanten, die ja immer vorbeigeführt wurden, griffen mit ihren Rüsseln nach rechts und links und bettelten uns das Butterbrot oder den Semmelbrocken ab, den wir in der Hand hielten. Das waren Erlebnisse für uns! Dazu brauchten die Zirkusleute manche Kleinigkeiten, die man aus der Stadt holen mußte. Dafür gab es öfter eine Freikarte für die Vorstellung. Die Buben hatten schon ihre eigene Methode, ohne Karte hineinzukommen. Sie nannten es schlupfen.

Daß es am Anger öfter Hochwasser mit gelegentlichen Überschwemmungen gab, war in seiner Lage begründet. Aber nicht nur zur Zeit der Schneeschmelze und des Eisganges gab es damals Überschwemmungen - nein, auch im Sommer gab es sie beinahe nach jedem größeren Gewitterregen. Daran war aber nicht die Eger schuld, sondern die unzulängliche städt. Kanalisation. Wir konnten bei einem solchen Regen beobachten, wie das Schmutzwasser durch die Gitter der Kanalschächte hüpfte und sich auf unserer Straße breitmachte. Ich habe es erlebt, daß die beiden uns gegenüber liegenden Häuser (wir selbst blieben verschont), derartig in ganz kurzer Zeit überschwemmt wurden, daß das Wasser über die Ofenplatten lief. Bei uns war es nur im Garten. Das war ein unhaltbarer Zustand und er wurde später auch beseitigt. Als die engen Röhren durch weitere ersetzt waren, war Schluß mit diesem Übel. Aber bis es soweit war, gab es viele Debatten. Auch die Regulierung der Eger 1923 trug viel zur Besserung der sanitären Verhältnisse am Anger bei. Soweit ich mich erinnern kann, kam die Verwirklichung dieses Projektes durch den energischen Einsatz der Sozialdemokatischen Partei zustande. Aber durch die Regulierung wurde zwischen der "Spitz" und der "Ottmühle" viel brauchbares Land gewonnen.

Die Häuser am Anger waren fast durchwegs einstöckig gebaut und hatten, auch wieder mit wenigen Ausnahmen, nur Einraumwohnungen, also Wohnküchen. Es waren dies meistens große Stuben mit 20-30 qm Fläche. Es gab auch kleinere das waren dann "a Stüwl". Da gab es die "gräuß Stu(b)n", "d' Neb'nstu(b)'n", die "hinta Stu(b)n", mit Zimmern wurde damals nicht viel geflunkert. Die Bezeichnung Zimmer kam auch erst nach und nach in Schwung. Das Wasser mußten wir bei den Hydranten der städt. Wasserleitung holen. Das war im Winter manchmal recht unangenehm. Bei der Pumpe zog es fürchterlich, der Weg war oft vereist, es wurde sehr wenig gestreut, und da hieß es mit den beiden schweren Gießkannen in den Händen schon vorsichtig gehen. Meine ersten Gießkannen faßten je 8 Liter, die Eltern hatten solche mit 15 Lit. Inhalt. Als ich sie bekam, waren sie schön neu und glänzend und ich war sehr stolz auf sie. Aber als ich eine Zeit lang Wasser geschleppt hatte, gefielen sie mir nicht mehr und wenn sie noch mehr geglänzt hätten. Aber deswegen mußte ich schon weiter Wasser tragen und nicht nur für den Haushalt, sondern auch zum Gartengießen aus der Eger.

Als dann 1910 das Elektrizitätswerk gebaut wurde, war Vater einer der ersten, der sich einen Motor und eine Wasserleitung für den Garten anschaffte. Das war dann prima! Eger, die Stadt mit den vielen kleinen Gärtnereien produzierte damals (vor 50 Jahren), besonders viel Salat, immer ein Vielfaches des eigenen Bedarfs. Die ganzen Gärten waren voll gepflanzt bis aufs letzte Beet und dann beteten die Gärtner um schönes Wetter und gute Käufer für ihren Salat. Gute Käufer waren damals die Sachsen. Sie kamen mit ihren großen Planwägen und ihren starken Pferden aus Plauen, Ölsnitz und Bad Brambach und schlichteten ihre Wägen voll Salat bis unters Dach, 40 bis 50 Schock. Es gab auch einige die noch mehr luden, wenn diese Abnehmer auch nur für große Gärten in Frage kamen. Bei den Sachsen galt der Grundsatz: "Zeit ist Geld" und sie mußten immer gleich bedient werden. Sie kamen schon um 3 oder 3.30 früh und wir Kinder mußten helfen, den Wagen zu laden. Dabei war es oft so kalt, wenn der Tau oder auch der Reif auf den Beeten lag. Wir hatten doch auch nicht ausgeschlafen und wenn die Mutter zweimal erfolglos gerufen hatte, dann kam sie selbst, nahm das Deckbett weg, packte uns bei den Beinen, stellte uns auf die Füße und schüttelte uns einigemal tüchtig hin und her und dann ging es!

Schön war ja das auch nicht, aber es kam bares Geld ins Haus und das konnten damals auch alle Gärtner brauchen. Die nächsten Jahre kamen die Sachsen nicht mehr mit Pferden und Wagen, da kamen sie mit großen Körben, die sie mit der Bahn befördern ließen. Zirka um 6 Uhr früh ging der Zug, nach 9 Uhr war der Salat in Plauen und zu Mittag wurde er gegessen. Das waren ein paar gute Jahre für die Gärtner und man konnte es überall sehen. Die Gärten wurden vergrößert, neue wurden angelegt und wenn in einem Garten ein unbenützter Winkel war, selbst wenn er nur 1 qm groß war, wurde er auch umgegraben und bepflanzt. Aber dann kamen die Sachsen nicht mehr. Inzwischen war in Deutschland die Erfindung des synthetischen Stickstoffs geglückt.

Die Verwertung dieser wichtigen Erfindung in den großen chemischen Werken, sowohl in Form von Ammoniak als auch von Salpeter und die Nähe der großen Kalisalzwerke bei Staßfurt gaben den Gemüsebauern in Sachsen-Altenburg u. Sachsen-Anhalt die Möglichkeit, ihre Kulturen im großen Ausmaß zu betreiben. Die gute Versorgung mit billigem Handelsdünger machten es der deutschen Landwirtschaft und dem Gartenbau in allen Sparten möglich, großartige Leistungen zu erzielen. Das zeigten die großen Ausstellungen, das bewiesen die hohen Ernteerträge.

Für die großen Samenzuchtanstalten in Erfurt, Quedlinburg u. Arnstadt hatten die genialen Forschungsergebnisse in der Mutationslehre des sudetendeutschen Augustinerpriors Gregor Mendel große Bedeutung. Die Sachsen also brauchten unseren Salat nicht mehr, sie bekamen ihn im Land billiger und besser und die Egerer Gärtner konnten jetzt manches Jahr einen mehr oder weniger großen Teil ihrer Salaternte entweder den Kühen oder Gänsen füttern oder auf den Komposthaufen werfen. Das lag in ihrem eigenen Ermessen!

Aber die Sachsen hatten mit Mark gezahlt. Nun brachte mir der Vater mehrere male ein graues Leinensäckchen und schickte mich wechseln. Das Säckchen kam in meinen Handarbeitsbeutel und dann zog ich los, mit hundert Belehrungen der Eltern in den Ohren "Gib das Geld nicht gleich her, frag erst, was sie zahlen. Wo du mehr bekommst, dort läßt du wechseln. Verlier nichts und komm gleich nach Hause!" So lautete mein Auftrag und ich ging von Bank zu Bank und fragte nach dem Wechselkurs der Mark. In Eger gab es ja offiziell Gulden und Kreuzer. In den großen Banken machten sie sich mit diesem Geschäft keine große Mühe. Die noblen Herren mit den steifen, weißen Stehkrägen und den goldgefaßten Zwickern konten sehr ungnädig sein. Entweder sie brauchten keine Mark oder sie zahlten einen Heller weniger als die Wechselstuben. Ich erinnere mich an die Egerer Eskomptebank, an die böhmische Eskomptebank, an das Bankhaus Künzel und eine Wechselstube Kohn in der oberen Bahnhofstraße und an die Wechselstube des H. Reichl am oberen Markplatz auf der Kleinseite. Dies war der einfachste Laden, aber der alte H. Reichl zahlte immer einen Heller mehr als die anderen. Für die Mark bekam man damals 1.16 bis 1.19 K, selten einmal 1.20 K. Auf die Frage nach dem Kurs bekam man oft die Antwort: 1.16.50 oder 1.17.25. Da wußte man natürlich nicht gleich, wohin damit, aber die Beamten übersetzten es gewöhnlich gleich ins richtige Deutsch und sagten 58 oder 58,50 kr., je nach Kurs. Unter 58 kr. durfte ich nicht wechseln lassen.

Noch einen andéren delikaten Auftrag hatte ich zu erfüllen, nämlich für Vater in der Lotterie zu setzen. Er spielte nicht oft. nur ab und zu, aber die Mutter durfte das nicht wissen, die hielt nicht viel von der launischen Göttin, die ihre Gaben immer nur nach Laune und nie nach Würdigkeit und Bedürftigkeit austeilte. Also hieß es dichthalten! Aber es war für uns Kinder ein Heidenspaß, wenn der Vater im "Original ägyptischen Traumbuch" die Nummern suchte, die er für seine Traumbilder brauchte. Wenn er sie gefunden hatte, mußte ich sie aufschreiben und sie in die Annahmestelle tragen. In der Bahnhofstraße war der Laden, im Deutschen Haus, gegenüber vom Café "Wallenstein", und Knöttner hieß der Kaufmann, der sie neben seinem Kolonialwarengeschäft berieb. Nach einigen Tagen mußte ich nach den ausgehängten Nummern schauen. Aber nur zweimal hatte der Vater Glück - da machte er einen Ambo, d. h. er hatte von drei Nummern zwei erraten. Hätte er alle drei erraten, hätte er einen Terno gemacht und hätte viel mehr Geld bekommen. Aber es ging ihm halt auch wie den vielen Totofreunden, denen immer die Mannschaften anders spielen als sie getippt haben. Für einen Ambo bekam er 3 fl. und ich davon ein "Sechserl" als Lohn. Man konnte in vier Lotterien netzen, in die Prager, die Brünner, die Linzer und die Wiener. Das Sechserl konnte auch nur damals in dieser doppelseitigen Währung existieren. Es war eine schöne, silberglänzende Nickelmünze mit der Aufschrift 20 h auf der Vorder- und dem österreichischen Doppeladler auf der Rückseite. Das "Fünferl", a 's F ü n f a 1, wie es hieß, war sein kleinerer Bruder, ihm gleich in Form und Farbe, nur kleiner und dünner und mit der Aufschrift 10 h.

Ein Sechserl war in Kinderhänden schon viel Geld, wenn man bedenkt, daß das Krenwürstl 3 kr. und der Knacker 5 kr. kostete, der große Wecken 2 kr., ebensoviel die Semmel und das Zöpfel und das Maultaschl. Das "Kreizaweckl" war eine Miniaturausgabe vom großen Wecken und gab oft Anlaß zum Spott, z. B. ging ein hinkender Bekannter durch die Straße und man wußte nicht, was ihm fehlte, dann hieß es: ,,ná já, dearn is a Kreizaweckl am Fouß affig'fálln u háut na(n a páar Zäiha o gschlog'n." Wenn wir auch einen weiteren Schulweg hatten als die Stadtkinder und oft recht schmutzige Schuhe bekamen, so gefiel es uns doch gut am Anger. Wir hatten ja Bewegungsfreiheit und Platz zum Spielen. Da gab es all die schönen Spiele: das Templhupfen, das Fangen, "za Schonzalas tou(n" sagten wir, das Werweln und das schönste war "a's Batschek'n". Es ist jetzt ausgestorben und es mag in Frieden ruhen, aber uns hat es oft müde und hungrig gemacht. Zum Batschek'n gehörte der Batschek und das Baleß. Der Batschek war ein runder Pflock mit zwei Spitzen, am besten 7-8 cm lang, und das Baleß war ein spatenförmiges Stück Brett, nicht zu schwer, zirka 20 bis 25 cm groß, mit einem Griff zum Halten. Beim Spiel wurde zuerst auf der Erde ein Strich gezogen, der Batschek mit der vorderen Spitze daraufgelegt, mit der Kante vom Baleß darauf geschlagen, daß er etwas hüpfte und dann mit der Breitseite schnell noch einen Schlag gegeben, daß der Batschek im großen Bogen flog. Und wenn eine "Dachtl" besonders geglückt war und der Batschek segelte im hohen, weitgespannten Bogen durch die Luft, dann fiel es dem Luder ein, in ein Fenster u hüpfen. Da gab es dann Scherben, Schimpfen und von der Mutter, die die Scheibe zahlen mußte, meist ein paar zünftige Ohrfeigen.

Die saßen nämlich ganz locker. Unsere Mütter kannten die schwierigen psychologischen Probleme der Gegenwart nicht. Bei denen ging es meist einfacher. Da hieß es z. B. "wennst niat afhurch'st, kröigst a Watsch'n." Und wir bekamen sie auch, schneller und lieber als ein Fünferl. Aber eines konnten wir Kinder am Anger durchwegs gut: das Brotessen. Ich erinnere mich, wie wir oft nach Hause kamen und sagten: "Mutta, gi ma a Stück Braut, owa a weng a gräuß!" Und dann nahm die Mutter den großen Laib und das große Messer, drückte die Spitze in das weiche Brot und fuhr dann einmal herum und was dann wurde "war holt öiramäl a Kalal,. wöi a Hemmschouch sua dick." Auf die Oberseite strich sie im Sommer Quark und darauf ganz wenig Butter. Mit dem Quark sparte sie ja nicht so sehr, da konnte sie sogar manchmal "pflustern", aber bei der Butter tanzte das Messer so schnell u. hurtig über die Brotscheibe, daß nicht viel Butter hängen blieb. Die Butter kostete damals ungefähr 15-16 kr. das Viertelpfund - da Vöiaring - und wurde am Wochenmarkt durchwegs in Viertel-Pfund-Stücken verkauft.

Die sahen anders aus als die heutigen Packungen. Sie hatten ungefähr die Form eines Zwetschenkerns, in der Mitte breit mit abgerundeten Enden, aber durchgehend gleich flach. Auf der Oberseite trugen sie ein Bild, eine Blume oder ein Kreuz, und jeder Hof hatte seinen eigenen Modl (Mua(r)l.). Sie wurde in sauberen, weißen Tüchern und im Sommer der Hitze wegen, zwischen grünen Blättern ("Schmalzbladla") verpackt, auf den Markt gebracht und war zur Zeit der Kleefütterung auch als Landbutter eine Delikatesse. Im Winter gab es bei uns Schweinefett aufs Brot. Zur Jahrhundertwende gab es am Anger noch keine Bäckerei. Aber bald danach erwarb der Bäckermeister Aug. Reinl das Haus Dammgasse 30, und errichtete dort eine. H. und Frau Reinl haben sie zu einem gutgehenden Geschäft ausgebaut. Das Brot wurde früher mit den anderen Lebensmitteln meist im Buckelkorb nach Hause getragen. Unsere Mütter haben viel öfter den Buckelkorb getragen als wir. Es gab auch noch keinen Fleischer, aber einschließlich des "Grünen Baumes" vier Gasthäuser, die den Männern auch damals das Heimgehen oft recht schwer machten - besonders wenn auf der Straße kein Licht brannte.

Weiter war als letztes in der Jodokstraße ein Haus, auf das wir uns auch nichts einbildeten - das Horn - das Asyl für Asoziale. Mit der Erinnerung an dieses Haus verbindet sich immer die Erinnerung an einige recht häßliche Szenen, die wir als Kinder mit diesen Menschen auf der Straße erleben mußten. Da waren ein paar ganz renitente Rauf- und Trunkenbolde, Einbrecher und Zuhälter, die der Städtischen Polizei schwer zu schaffen machten. Kein Polizist ging allein in dieses Haus und der weißhaarige Polizeikommissär Lukas war bei ihnen nur der Wattaschädl. Aber wenn es damals Dünnbier gegeben hätte und der Schnaps teurer gewesen wäre, wären einige von diesen starken, robusten Männern ganz gute Arbeiter gewesen. Aber warum sich durch diese wenigen das Andenken an die vielen ändern Anständigen trüben lassen? Ich denke heute noch mit Hochachtung an die vielen, verdienten Arbeitsveteranen, die in langjähriger Treue und Zuverlässigkeit ihre Pflicht taten und ihrem Betrieb wertvolle Dienste leisteten.

Das Glas Bier (halber Liter) kostete damals 6,5 kr. In manchem Gasthause über die Gasse auch nur 6 kr. Aber wenn sich ein Arbeiter am Sonntag 20-25 Gläser hineinschüttete - und das taten mehrere als ein Zeichen ihrer Männlichkeit, so riß diese Rechnung schon ein großes Loch in ihren mageren Geldbeutel. Denn ein Arbeiterlohn für den ganzen Monat gab selbst in Kronen ausgedrückt keine dreistellige Zahl. Ein Kutscher z. B. verdiente 9 bis 10 fl., andere z. B. die Weber in der Teppichfabrik (Mühlg.) neben der Blechschmidmühle) 11-12 fl., vielleicht auch noch ein paar Kreuzer mehr, während es Betriebe gab, wo die Männer mit 7.50 bis 8 fl. nach Hause gingen, z. B. die Fischerfabrik in der Grabenstraße. Ich habe die bewegten und tränenreichen Klagen einer Milchkundin aus diesem Kreis zu oft gehört, um sie vergessen zu können.

Ein besonderes Ereignis für den Anger war es, wenn die Eger einmal abgelassen wurde. Natürlich dauerte das wochenlang. Immer kleiner wurde der Wasserlauf, bis nur noch ein kleines Rinnsal in der Mitte übrig blieb. Da konnte man die Eger bequem durchwaten. Nur drüben am Ufer bei der Hilariawiese, wo die großen Erlen standen, gab es immer viel Schlamm. Einmal wurde quer durch die Eger unterhalb des Ankersteges ein großes Kabel nach Franzensbad gelegt. Ich glaube, es war 1908 und geschah im Auftrag der Deutschen Bahn. Die hatte ja damals schon ihr eigenes Elektrizitätswerk. Ein großer Trupp Italiener war gekommen und führte die Erdarbeiten aus. Da war ein Leben in der Dammgasse und im "Petergäßla", wie wir den unteren Teil der Grabenstraße hießen. Die großen Mengen jener grüngelben, wasserundurchlässigen Tonerde, die auf den schönen Namen "Wodscher(b)n" getauft war und für das Kabelbett gebraucht wurde, mußte mit Pferdegespannen herbeigeschafft werden. Und wenn dann das Gestell für den Rammklotz aufgestellt war und 8 Männer unter Singen an Seilen den Klotz emporzogen, um ihn auf den Pfosten fallenzulassen, der eingetrieben werden sollte, so gab das für viele ein interessantes Schauspiel, aber nicht nur für Kinder. Wie gut wäre es für die Finanzen der Stadt gewesen, wenn sie bei einer solchen Arbeit einmal einen Schatz gefunden hätte. Z. B. einen Gotenschatz mit einer Königskrone. Aber nichts davon fand sich. Was gefunden wurde, war altes, unbrauchbares Werkzeug und ebensolcher Hausrat, alte Regenschirme und Schuhe und ein paar stinkende Kadaver von Hunden und Katzen. Das waren lauter Dinge, die wohl auf einen Ablagerungsplatz, aber nicht in ein sauberes Flußbett gehörten.

Aber über unseren Erlebnissen war die Zeit nicht stehen geblieben. Im ruhigen Gleichschritt waren ihre Tage an uns vorbeigezogen. Wir waren unseren Kinderkleidern entwachsen und bemühten uns jetzt mit viel Eifer und noch mehr Appetit bald recht groß und erwachsen zu sein. Und mit uns wuchsen die Zahlen. Erst die Preise, dann die Löhne, z. B. kostete jetzt das Schweinefleisch 1 K das Pfund. Der Gulden und der Kreuzer waren endlich in Pension gegangen und machten sich nur manchmal bemerkbar. Ihre treuesten Anhänger, die alten Leute, waren größtenteils gestorben und die Jungen rechneten immer mehr mit K und h. Der Anger hatte sein altes, gutmütiges Gesicht beibehalten. Einige Häuser hatten ihre Besitzer gewechselt, einige waren neu gebaut worden. Eine von den beiden Greislereien war durch Tod eingegangen, dafür hatte der Kaufmann Anton Theierl in der Dammgasse ein Kolonialwarengeschäft eröffnet. Hinter den Scheiben der kleinen Eenster blinkten die schneeweißen, spitzengesäumten, einfachen Vorhänge und auf den Fensterbrettern blühten und grünten die Geranien (stinkata Lisi), die Pelargonien, die Balsaminen und die Fuchsien. Der Myrtenstock wurde besonders gut gepflegt, damit man Schnittgrün hatte bei feierlichen Anlässen, vor allem, wenn erwachsene Töchter im Hause waren. Damals trugen die Anschriften auf Briefen und Einladungen das pompöse Wort: Wohlgeboren oder gar Hochwohlgeboren.

Zu den Stuben hatten Licht und Luft reichlich Zutritt und keine Häuserwand konnte die Sonne aufhalten. Auf den Straßen zeigte sich immer öfter ein Auto und nachdem einige Gänse und Hühner totgefahren waren, verschwanden sie von der Straße.

So kam das Jahr 1909 und brachte uns am 5. Feber das große Hochwasser. Diesmal war das starke Eis auf der Eger und der einsetzende Regen an der Ueberschwemmung schuld. Damals habe ich die Macht des Wassers kennengelernt! Um 5 Uhr früh wurden wir von der Feuerwehr geweckt, um halb 6 Uhr standen bereits sämtliche Erdgeschoßräume unter Wasser und gut 1 m hoch trieben die großen Eisblöcke an unserem Hause vorüber und in der Dammgasse stand das Wasser 80-90 cm hoch. Da konnten wir sagen: jetzt haben wir den Dreck im Schachterl! Wochenlang roch es in diesen Häusern nach Schlamm und Moder, trotzdem wir fleißig lüfteten. Als es an diesem Tage vom Turm der Pfarrkirche 12 Uhr läutete, da riß sich unser lieber Freund, der Ankersteg, von seinen Fundamenten los und segelte gravitätisch durch die schmale Rinne, die die großen Schollen gerissen hatten, an uns vorüber, hinunter bis unter das Viadukt. Im Anschluß an diese Ueberschwemmung wurde in Eger ein Spottlied gesungen: "Es hieß da u. a. "u am Anga ba den Beckn däu schwima üm döi Wekn" oder "da Spitzwirt, dear haut a sein Zorn, wal sa(n Böia is saua wor'n und "drunt'n dann ba(n Viadukt haut a si in ra Eck ei(n druckt", nämlich unser Steg. Aber sonst war es wie im Gleichnis im Evangelium: es gab nur wenige "Arbeiter im Weinberg!" Aber viel Zuschauer.

Damals gingen die "Angana" im Mai noch in die Abendandacht in die Jodokkirche, die der damalige Vorbeter, spätere Schulwart. H. Fr. Meißner täglich hielt, doch die Leute verliefen sich nach und nach. Aber während am Anger selbst, abgesehen von den biologischen Veränderungen in den einzelnen Familien, so ziemlich alles beim Alten blieb, gab es in dieser Zeit in nächster Nähe große Veränderungen. Die große Wiese hinter den Gärten in der Jodokstraße bis zur Prager Straße wurde eines Tages ausgemessen, abgesteckt und bald darauf kam ein großer Trupp Italiener, welcher die Vorarbeiten für den Bau der Gabelsbergerstraße machte. Die Straße war noch nicht fertig, als auch schon eine rege Bautätigkeit einsetzte. Am unteren Ende, Ecke Haberstumpfstraße, erstand die Vigogne-Spinnerei der Fa. J. Neumann,

Fabriksgebäude der Vigognespinnerei J. Neumann Luftbild der Neumannfabrik

weiter oben das Elektrizitätswerk

Das Egerer Elektrizitätswerk

und anschließend an das Fabriksgebäude der Trikotagenfabrik der Fa. Rahn und Kögler, später Maschinenfabrik Oschatz, die erste kleine Wollspinnerei der Fa. R. Seiler und Co.

Maschinensaal der Seilerfabrik Fabriksgebäude der Seilerfabrik

1930 1960

Während die Vigogne-Spinnerei im großen Ganzen in ihrer ursprünglichen Form und Größe bestehen blieb, machte die Kammwollspinnerei eine bewundernswerte Entwicklung durch. Schon wenige Jahre nach Kriegsschluß war die erste Fabrik zu klein. Es folgten Aufbauten und Anbauten und Neubauten von modernen Anlagen, bis alles zu dem großen, achtungsgebietenden Werk gediehen war, das durch die gute Qualität seiner Erzeugnisse im weiten Umkreis einen guten Namen hatte. Aber zum Bau dieser Anlagen brauchte die Fa. Seiler viel Grund. Sie kaufte vier Gärten und drei Häuser in der Jodokstraße und in der Dammgasse. Damit fielen diese Grundstücke für den Gartenbau und die Landwirtschaft aus. Auch sonst hatten einige Familien diesen Erwerbszweig aufgegeben und sich industrieller Beschäftigung zugewandt.

Der dörfliche Charakter des Angers schwand mehr und mehr. Viele Häuser waren schon dem städt. Kanalisations- und Wasserleitungsnetz angeschlossen, die Misthaufen hinter den Häusern waren mit wenigen Ausnahmen verschwunden. Die Wohnungen wurden dadurch auch besser, die Vorhänge waren jetzt eleganter und die Straßenbeleuchtung war nimmer so sparsam. Der Anger hatte also auch seine Aufwärtsentwicklung durchgemacht. Im August 1924 bin ich vom Vaterhaus in der Jodokstraße in die Prager Straße umgesiedelt, aber den Anger habe ich nie vergessen. Mit der Erinnerung an mein Vaterhaus verbinden sich die schmerzlichstem Erinnerungen meines Lebens: ich habe in diesem Hause in wenigen Jahren sechs liebe Menschen verloren, die Großmutter, die Eltern, die beiden Brüder und mein kleines Töchterchen. Ich kann jene gut verstehen, die in einer Bombennacht oder sonst im Kriegsgeschehen Besitz und Familie verloren haben.

In seiner strukturellen Gliederung wies der Anger damals folgende Häuser und Besitzer auf:

Die Dammgasse begann mit Nr. 2 beim Gasthaus "Zum grünen Baum". Bes. war Fam. Förster. Der jüngste Sohn Alfred Förster war der letzte Besitzer. Der "Grüne Baum" war ein weitbekanntes, solides Gasthaus, verbunden mit Gartenbau und Landwirtschaft. Vorm 1. Weltkrieg wurde durch einen Anbau ein Laden für eine Fleischerei geschaffen, die Andreas F. eröffnete. Nachdem dieser an der ital. Front gefallen war, übernahm sie bald nach Kriegsschluß sein jüngerer Bruder Adam und führte sie bis zur Austreibung. Er hatte einen großen Kundenkreis und sein Geschäft war eines von den Großen in Eger. Ich denke heute noch an die große Auswahl und die gute Qualität, die ich als treue Kundin dort fand.

Das anschließende Haus gehörte dem Viehhändler J. Naxera. Er hatte bald nach Kauf des ursprünglichen Hauses die Baulücke zwischen diesem und dem Gasthaus "Zum Anker" durch einen schönen Neubau geschlossen. Nach vielen Todesfällen in der Familie Naxera gehörte das Haus zuletzt den beiden Töchtern, Fr. Anna Hanner und Fr. Schuster. Auch Fr. H. starb noch vor der Austreibung. In diesem Hause wohnte lange Jahre Postdirektor Heller, der Vater des Arztes Dr. Heller, mit seiner Familie.

Das nächste Haus, der "Anker" war ein Gasthaus, ebenfalls mit Gartenbau und Landwirtschaft verbunden. Der letzte Bes. war Georg Neuberger, der jüngste Sohn des früheren Besitzers. Seine Mutter hat in zweiter Ehe Herrn Preiß geheiratet und ist die Mutter von Herrn J. Preiß, Drogist und von Fr. Rosl Kanhäuser. Diese war die letzte Schnablmüllerin.

Nach einer Baulücke, in welcher der Opferstein für den ersten Altar zur Markusprozession stand, kam das Haus des J. Bodenstein. Sein Garten zog sich an der Grabenstraße entlang. Herr Bodenstein, dessen Frau erst vor kurzer Zeit in Amberg beerdigt wurde, war wohl in Eger und dem Egerlande sehr gut bekannt. Wer hat nicht seinen großen Gemüsewagen gesehen, der am Wochenmarkt immer in der Nähe des Rathauses stand und durch die geschmackvolle Anordnung der verschiedenen Gemüse oft wie ein farbenfrohes, appetitanregendes Stilleben wirkte. Ja, da Grießlseff haut sa(n G'schäft vaständ'n! Außerdem war er ein guter Fischer. Den Feldbau hatte er aufgegeben.

Anschließend war eine Scheune. Ihren Besitzer kenne ich nicht. Eine Zeitlang wurde sie als Remise für Leichenwägen benützt. Ihr gegenüber stand der schöne, große Kastanienbaum, der mir im Schmuck seiner zahlreichen Blütenkerzen immer so gut gefiel. Zwischen der Scheune und den folgenden Grundstücken war das Ende der Grabenstraße. In der Kinderzeit war das "a's Petergaßl". Die Grabenstraße war damals nur ein Fahrweg. Erst mit dem Einsetzen der Bautätigkeit wurde sie in diesem Teil fertiggestellt.

Anschließend an die Straße war der Garten des Bernh. Fischer. Sein Haus war das letzte in der Grabenstraße. Seine Witwe konnte den Besitz nicht halten. Einige Jahre nach dem Tode ihres Gatten verlor sie ihn durch betrügerische Machenschaften eines Verwandten an eine Bank. Von dieser übernahm Herr Oschatz das Grundstück und von ihm kaufte es das Gärtner-Ehepaar Josef und Anna Kahler. Sie waren die letzten Besitzer. An dieses Grundstück grenzte das kleinere Gartengrundstück mit dem Haus Dammgasse 22, der Besitz des Herrn Andreas Benker. Zuletzt war es im Besitz der beiden Töchter, Fr. Anna Sandner, Oberlehrerswitwe, und Fr. Marg. Tragl, der Witwe des Magazineurs beim Elektrizitätswerk, Richard Tragl.

Nun kam das Brandner-Haus ohne Garten. In diesem Hause war eine Tabak-Trafik und zwar die kleinste von Eger. Damit verbunden war eine Greislerei, ebenfalls vom kleinsten Format. Für die "Angana-Boub'n" war das Lädchen das Wetterhäuschen. Wenn sie mit den Fäusten oder der Federbüchse auf das Blechschild trommelten, auf dem ein bärtiger Türke seine Pfeife rauchte, so kam binnen ganz kurzer Zeit ein Teil des Ehepaares, um zu schimpfen. Und weil besonders Herr Brandner dieses so gut konnte, lockten ihn die Buben damit immer wieder heraus. Herr Brandner ging der Arbeit gerne aus dem Wege. Entweder er stand pfeifenrauchend unter der Ladentüre oder er lehnte an der Eisenstange des Eger-Geländers während der Arbeitszeit. Ich habe ihn nie arbeiten gesehen. Nach dem Tode seiner fleißigen, aber älteren und schwachen Frau büßte er das Haus ein und es wurde dann später von Fr. Pleyer, Hebamme, erworben, die ja heute noch in Eger ist.

Im Laden betrieb zuletzt Fr. Bauer, die Gattin eines städt. Angestellten eine Manglerei mit Wäscheschleuder. Das nun anschließende Haus mit Gärtnerei und Landwirtschaft gehörte Herrn Joh. Fischer (Peter-Hans). Nach dem Tode der Eltern übernahm nach dem 1. Weltkrieg der Sohn Georg den Besitz. Als die Fa. Seiler Grund für ihren großen Neubau brauchte, verkaufte Georg Fischer das Anwesen und übersiedelte mit seiner Familie wieder in die Heimat seiner Frau in der Leitmeritzer Gegend. Der älteste Sohn der Fam. Fischer war Herr Wilh. Fischer, Beamter am Steueramt und Direktor der I. Arb.-Wohnungsbau-Genossenschaft. Er fiel im 1. Weltkrieg an der serbischen Front. Sein jüngster Bruder ist Dr. med. Hans Fischer, zuletzt als beliebter und geachteter Arzt in Tachau tätig. Die Tochter Anna, verehel. Reichl, war zuletzt Besitzerin der großen Gärtnerei Berggasse 6, neben der neuen Inf.-Kaserne in der Franzensbader Straße. Sie arbeitet heute im botanischen Garten in München. Sie kann ohne Arbeit nicht leben, besonders weil ihr die Sorge um den vermißten Gatten und der Verlust von Heimat und Besitz schwere seelische Belastung brachte.

Das nächste Anwesen, ebenfalls Garten- und Feldbau, gehörte früher dem Herrn Georg Peter (Wewa-Schorsch). Auch er verkaufte Haus und Garten an Fa. Seiler. In diesem Hause haben lange Jahre die Eltern des Lederhändlers Hans Meißner gewohnt, der jetzt 90jährige Fr. Meißner, Schulwart in der Forstschule, und seine Gattin.

Nun folgte das Haus Nr. 30 des Herrn Reinl mit der Bäckerei. Nach dem Tode des Aug. Reinl übernahm sein ältester Sohn Josef die Bäckerei. In Erbengemeinschaft mit seiner Mutter und den Geschwistern verkaufte auch er 1923 den Gartengrund an die Fa. Seiler. Aber die Bäckerei hat er vergrößert und verbessert. Erst in den letzten Jahren hat er sie durch größere Investitionen ganz modern und hygienisch gestaltet.

Mit diesem Haus schlossen jetzt die geraden Nummern der Dammgasse auf der rechten Seite an der Eger. Mit den ungeraden Nummern setzt sie auf der linken Seite ein Stück weiter unten fort. Aber an das Haus Dammgasse Nr. 30 schloß sich das Haus Jodokstraße Nr. 2, mein Vaterhaus. Auch ich habe damals erst den Garten und später das Haus an die Fa. Seiler verkauft. Dem Vaterhaus gegenüber waren zwei kleine Häuser und zwar Nr. 1 und 3. Das erste gehörte früher der Fa. Schmidt und wurde später von Hans Lenz, Tischler, käuflich erworben. Nr. 3 gehörte früher der Fam. Burggraf, von der es Franz Sehr, Heizer der Bundesbahn, kaufte. Mein nächster Nachbar war Joh. Ott, Spediteur und Kohlenhändler. Er kaufte das Haus mit Garten im Anschluß an den ersten Krieg und hatte sich dort ein schönes Geschäft aufgebaut.

Anschließend kam das Haus Jodokstraße 6 mit großem Garten, das zuletzt der Fr. Barb. Nosti, Gärtnersgattin und den Kindern ihrer Schwester, Fr. Marg. Marx, Bahnbeamtensgattin, gehörte. Es war eines der wenigen ebenerdigen Häuser. Neben ihm kam das Haus mit Garten des Herrn Georg Peter (Neubauer). Nach dessen Tod führte sein ältester Sohn, Hans Peter, mit seiner Mutter den Betrieb weiter. Von dieser Familie kann man nur eines sagen: unermüdlicher Fleiß und absolute Rechtschaffenheit waren Ziel und Zweck ihres Lebens. Von den drei Söhnen lebt Rudolf als Lehrer in Fuchsmühl, Georg als Tischler in Württemberg und Hans im Fichtelgebirge.

Der Weg, der zwischen diesem Grundstück und dem des Andreas Gottlieb von der Jodokstraße zur Prager Straße in die Fabrikstraße führte, wäre wohl auch bald zur fertigen Straße ausgebaut worden. In der Jodokstraße folgte nun ein kleines ebenerdiges Haus, das zum Besitz des Herrn Gottlieb gehörte. Beim großen Terrorangriff im Oktober 1944 wurde es vollständig zerstört. Leider fanden mehrere Menschen dabei den Tod. Nach einer kleinen Baulücke folgte das große Gottlieb-Haus. Nach dem Tode des Andreas Gottlieb bewirtschaftete seine Witwe mit den minderjährigen Kindern den großen Garten und die Landwirtschaft. Auch ihr war ein gerüttelt Maß an Arbeit und Sorge vom Schicksal zugeteilt worden. Aber über Arbeitsmangel konnte sich ja wohl keine Gärtnersfrau beklagen - 14 Stunden Arbeit war in meiner Kinderzeit für die Meisten das übliche Pensum. Es waren nur die wenigen Winterwochen, wo dies, nicht der Fall war. Längs der Jodokstraße zog sich der Gottlieb-Garten hin bis zum Renner-Haus, einem modernen, schönen Neubau, das von Adam Renner, Heizer der Bayer. Bahn, erbaut wurde. Fr. Renner war die Schwester des Herrn Gottlieb. Herr Renner wurde später nach Oberbayern versetzt. Doch weiß ich nicht, wer von seinen Kindern das Haus übernommen hat.

Den Schluß in der Reihe bildete das Horn. Es war zwar in der letzten Zeit auch nicht schöner geworden, aber diese Exzesse, wie wir sie in der Kindheit erlebten, gab es nicht mehr. Auf dem Platz zwischen Horn und Neumann-Spinnerei hatte die Stadtgemeinde mehrere größere und standfeste Baracken für sozialschwache Mieter aufstellen lassen. Auch damals gab es deswegen lange Kämpfe in der Stadtverwaltung. Welche Straßenbezeichnung und Nr. das Werkgebäude der Fa. H. Ernst, Fabrik für Eisenkonstruktionen, das am letzten Zipfel beim Viadukt stand, hatte, weiß ich nicht.

Quer zur Dammgasse und zur Jodokstraße, gleichsam als Abschluß des großen Platzes, stand das Haus der Färberei Lerner. In meiner Kinderzeit war es das "Bachmannhaus" oder die neue Spitz. Herr Lerner sen. hat das Haus kurz vor dem 1. Weltkrieg gekauft und dort seine Färberei und ehem. Reinigungsanstalt errichtet. Das Geschäft hat dank der guten Führung der Familie Lerner gut floriert. Die alte Spitz war wohl bei vielen Egerern sehr gut bekannt und dürfte heute noch bei manchem in guter Erinnerung stehen. Es war ja das Haus der guten Fischküche und sein Besitzer, Herr Franz Fischer, war ein bekannter Fischhändler. Das Haus selbst war alt, wie schon sein Name sagte, aber der Schwiegersohn, der Gatte der jüngeren Tochter Martha, Herr Silber, hatte anschließend an das alte Haus in den Jahren vor dem Anschluß ein hübsches, neues Wohnhaus gebaut. Die ältere Tochter Lina war mit dem Ing. Fritz Jordan verheiratet und lebte mit ihrer Familie in Sachsen.

Nun kam die Schnabelmühle mit ihren weitläufigen Gebäuden. Sie war natürlich das größte Anwesen am Anger, mit großer Landwirtschaft. Aber noch in meiner Jugend hat der alte Herr Kanhäuser einen Teil seiner Wirtschaftsgebäude zu Wohnungen umgebaut. Auch eine Filiale des Arbeiter-Konsum war in der Zeit zwischen den beiden Kriegen dort unter gebracht. Herr Georg Kanhäuser jun. war bis zur Austreibung der letzte Schnabelmüller.

Anschließend an diesen Teil der Schnabelmühle war das Gasthaus zum "Schnurrn". Es war das einfachste am Anger und hat öfter Besitzer und Pächter gewechselt. Der letzte Wirt war Alois Theierl. Nach seinem Tod führte seine Witwe das Geschäft weiter. An den "Schnurrn" schloß sich das Haus des Christof Wörl, der es von seinem Vater übernommen hatte. Nicht viel größer und von gleicher Höhe war das folgende, das dem "Angara Philosophen" und Leistenmacher, Lorenz Zederbart, gehörte. Herr Zederbart war ein Original. Er war belesen und in Geschichte und Erdkunde beschlagen wie nicht leicht ein Zweiter. Aber nachdem sich die Industrie auch der Schuherzeugung bemächtigt hatte und der fertig gekaufte Schuh immer mehr den Maßschuh verdrängte, konnte er sich mit seiner Leistenerzeugung nicht mehr halten und er richtete sich einen Kohlenhandel für den Kleinverkauf ein. Bei jedem Wetter, an Sonn- u. Feiertagen konnte man ihn mit dem Schubkarren sehen, wie er den Kunden Kohlen ins Haus schaffte. Immer war er voll Kohlenstaub und so klug er war, so bedürfnislos war er in seinem Äußeren. Da seine Ehe kinderlos war, erbte nach seinem Tode eine Nichte von ihm das Haus. Ich kenne ihre weitere Geschichte nicht. In meiner Kinderzeit wohnte in diesem Haus die alte "Salingbärbara". Sie trug damals am Rücken von Franzensbad den Säuerling nach Hause, um sich noch ein paar Kreuzer zu verdienen. Zu Hause stellte sie die vollen Flaschen in einem dunklen Gewölbe in nassen Egersand und wenn man dann später eine solche Flasche zum Trinken öffnete, fuhr einem die Kohlensäure ganz gewaltig in die Nase. Die 3/4-Liter-Flasche kostete 1 Kr., die große Flasche l,5 Kr. War das nicht ein guter Verdienst für diese schweren Flaschen!

Diesem Haus schloß sich das "Böiaträgha-Haus" an. Es gehörte früher einem Bauern aus Oberndorf und wurde auch noch vor dem ersten Kriege vom Maurermeister Theierl erworben. Zwischen diesem und dem "Blankenschneider-Haus" war damals eine Baulücke. In diese stellte der älteste Sohn des alten Herrn Theierl, ebenfalls ein Baufachmann, einen Neubau. Er fiel insofern aus der Rolle, als er zweistöckig war, während alle anderen Häuser in dieser Reihe, die sich direkt an der Eger hinzog, einheitlich einstöckig waren. Herr Theierl verkaufte später das Haus und die Heizerswitwe der RB., Fr. Tretter war meines Wissens die letzte Besitzerin.

Auch das Blankenschneider-Haus, das der Familie Stingl gehört hatte, hatte seinen Besitzer gewechselt u. war von Herrn Roth, Schuhmachermeister, erworben worden. Ich nehme an, daß eines von seinen Kindern die Erbfolge angetreten hat. Ein kleines Gäßchen führte zwischen diesem Haus und dem folgenden des Kaufmannes Anton Theierl zur Eger. Das Kolonialwarengeschäft hat Herr Theierl in der letzten Zeit nicht mehr selbst geführt, sondern die Kaufmannsgattin Frau Wolf.

Das letzte Haus in der Reihe gehörte dem Peter Zimmermann, dem "Teschauer Peter". Er war Landwirt und war neben dem Schnabelmüller auf dieser Seite der einzige der Großvieh hatte.

Nun kamen, etwas abseits stehend von dieser Reihe, zwei niedrige Häuser. Das kleinere gehörte dem Zimmermann Friedrich Kara, dem "Hopffritz", wie er mit seinem Hausnamen hieß. Nachdem er nach Oberösterreich zuständig war, wurde er, wahrscheinlich auf seinen Wunsch auch dorthin ausgesiedelt.

Als letztes in diesem Kreis war jetzt noch das "Tischersimmer-Haus". Auch diese Besitzer hießen einmal Stingl, nach dem Tode der alten Frau kaufte es Herr Hammer, Angestellter am Schlachthof und von ihm nach einigen Jahren Herr Worsch, Arbeiter bei der I. Aktien-Brauerei.

Das war die Seite mit den ungeraden Nummern der Dammgasse. Dort, wo sie etwas weiter vom Egerufer weggerückt war, standen noch, mit der Front direkt zur Eger, zwei kleine Häuser. Das obere gehörte früher der "Semmel-Barbara", so geheißen, weil sie mit Semmeln auf die Dörfer ging. Später war es im Besitz der Fam. Böhm und zuletzt hatte dort der Schuhmacher Wörl Werkstatt und Wohnung. Das andere Haus gehörte der Fam. Brunner und wurde noch in letzter Zeit von deren Kindern bewohnt.

Bleibt noch der eigentliche Anger zu erwähnen, die Häusergruppe unterm Steg. Früher waren ja drei schmale Holzstege, die von der Spitz zum Anger führten. Nach der Egerregulierung war dann nur der neue, lange Steg, der quer über die Eger führte. Als erstes Anwesen von dieser Seite war hier die Ottmühle zu sehen. Sie war eine moderne, leistungsfähige Mühle, sehr sauber und gut gehalten und geführt von der Fam. Ott und von den Bauern der Umgebung gern besucht. Anschließend an ihre vordere Front war früher die Steinschleiferei des Bildhauers Wilfert aus der Bahnhofstraße. Dieser Betrieb war aber schon längere Zeit stillgelegt. Gegenüber den Wirtschaftsgebäuden der Ottmühle war die Hacklmühle, ebenfalls schon Lange stillstehend. Durch die Straße getrennt waren die Wirtschaftsgebäude des Georg Hackl. Seine Witwe und ihre Töchter waren die letzten Besitzer.

Dem Hacklhaus gegenüber war früher das alte Wenig-Schousta-Haus. Es stand schon immer etwas erhöht, aber der Neubau, den der Schwiegersohn des alten Herrn Wenig, Oberwerkmeister Dollinger an seiner Stelle hinstellte, präsentierte sich wie ein kleines Schlößchen. Unterhalb dieses Hauses, direkt an der Straße, stand ein älteres, größeres Haus, das früher zur Steinschleiferei gehörte. Seine Besitzverhältnisse kenne ich nicht. Ihm folgten, auch am Abhang stehend, die Gebäude, die zur Gärtnerei Wenig gehörten. Auch in diesem Falle war Landwirtschaft damit verbunden. Die Fam. Wenig hatte in unermüdlichem Fleiß aus einer kleinen eine große, leistungsfähige Gemüsegärtnerei gemacht. Sozusagen als Markenzeichen konnte für sie das große Windrad gelten, das früher zum Wasserschöpfen aus der Eger diente. In letzter Zeit war der Betrieb verpachtet.

Noch ein neues Haus schaute von dieser kleinen Anhöhe auf die Straße herab. Es gehörte dem Bahnbediensteten Putzandl und war erst in den dreißiger Jahren erbaut worden. Anschließend an den unteren Garten der Fam. Wenig stand an der Straße und gegenüber der Eger das alte Haus der Fam. Waidhas. Es hatte die Haus-Nr. Anger 1. Das neue Haus dieser Familie stand etwas weiter oben im Garten. Auch die Fam. Waidhas hat ihren Besitz vergrößert und verbessert. Dem Weniggarten gegenüber, direkt an der Eger gelegen, war das kleine, alte Haus, das dem Bahnbediensten Fr. Wild gehörte. Es wurde beim Terrorangriff ebenso restlos zerstört, wie die Scheuer, die sich ihm anschloß und die dem Gärtner Peter in der Jodokstraße gehörte.

Bleibt noch der größte Betrieb des Angers zu nennen: die altbekannte Hülsenfabrik der Fa. Bräuning. Auch sie war aus kleinen Anfängen zur großen Exportfirma geworden. Ihre richtige Größe konnte man von der Straße aus gar nicht feststellen. Man mußte schon auf die Bismarckhöhe hinaufsteigen, um die ganze Fabriksanlage sehen zu können. Das Wohnhaus stand vorm Viadukt. Doch ihr Auto bewältigte leicht diese und größere Entfernungen. Aber sowohl die Fabrik als auch das Wohnhaus haben durch den Bombenangriff schwer gelitten.

Man sah es dem Anger, sowohl dem untern als auch dem Anger schlechthin an, daß hier der Feind gehaust hatte. Was fleißige Menschen in langjähriger und oft recht mühevoller Arbeit geschaffen hatten, lag in kurzer Zeit in Schutt und Trümmern. Das Gesamtausmaß der Zerstörung kenne ich gar nicht. Aber wenn in anderen Fällen das Dichterwort gilt: "Und neues Leben blüht aus den Ruinen", warum sollte es denn für den Anger nicht gelten?

Ja, unser Anger war nun einmal eine Arbeitersiedlung, eine richtige Heimstätte für schaffende Menschen. Die kleinen Häuser waren immer dicht bewohnt und es kam gar nie vor, daß eine Wohnung längere Zeit leer stand. Wer einmal richtig eingewöhnt war, hätte einen Vorschlag zum Wohnungswechsel, z. B. in den Judenhof oder in ein düsteres Hofgebäude, weit von sich gewiesen. Aber die herrschende Tendenz übertrug sich auch auf uns Kinder. Wir mußten fast durchwegs eher das Arbeiten lernen, als die meisten Stadtkinder. Mit den Leistungen wuchs auch bei uns immer der Appetit, meist war er auch ohne Leistung da. Ich denke heute noch mit Vergnügen an den siebenjährigen Jungen einer kinderreichen Familie in unserem Haus, der seinen neunjährigen Bruder fragte: "Seff, wöivül haust du Kniadla gess'n, ich ho vöira gess'n? "Sechsa" war die prompte Antwort dies Neunjährigen. Sie mußten im Sommer jeden Tag mit ihrer Mutter in den Wald gehen, um Holz und Beeren zu sammeln und konnten damals schon das Holz hacken, besser wie mancher Erwachsene.

Aber das Arbeiten hat uns nicht geschadet. Die "Angana Boub'm" wurden fast durchwegs gute Soldaten im österreichischen Heer und viele hatten Chargen. Doch auch im bürgerlichen Leben haben sie mit wenigen Ausnahmen ihren Mann gestellt. Auch die Mädeln konnten sich sehen lassen. Ihnen allen, besonders denen, die sich noch an die Zeit vor dem 1. Weltkrieg erinnern, mögen diese Zeilen ein lieber Gruß sein in der Erinnerung an unser kleines Kinderparadies, an unsern Anger!

Das Egerer Viadukt steht heute noch!

Die Fahrradfabrik ESKA ist längst abgerissen!

Armenhaus St. Jodok Waisenhaus am Anger

Viadukt 1863 Viadukt 1945

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