Flußwandern im Egerland

von Karl Wilfart, Egerer Zeitung 9/10 1956

Das Paddeln war in Eger ein häufig und gern ausgeübter Wassersport. Die Paddler selbst unterschieden zwei Gruppen: die Holzbootfahrer, die mehr oder weniger an eine Flußstrecke gebunden waren und die an schönen Sommertagen in Scharen die Eger zwischen Insel Mühlerl und Wiking-Bootshaus bereisten, und die Faltbootfahrer, die mittels ihrer sinnreich konstruierten, zusammenlegbaren Hadernkisten die Möglichkeit besaßen, auch andere Flüsse zu befahren. Zum Flußwan-dem ist demnach in erster Linie das Faltboot geeignet.

Ich glaube, den Anfang des Faltbootsports in Eger in das Jahr 1929 festlegen zu können, doch ist es durchaus möglich, daß in unserer Heimatstadt schon vor diesem Zeitpunkt einzelne stille und begeisterte Idealisten diesen schönen Sport betrieben. So weit mir bekannt ist, besaß der junge Karl Lukesch (heute Facharzt in München) das erste Faltboot in Eger. Durch ihn wurden andere junge Leute mitgerissen und veranlaßt, sich auch so ein „Ding“ anzuschaffien. Schließlich bildete sich in Eger eine kleine Gilde junger, begeisterter Flußwanderer, denen keine Mühe zu groß und kein Wetter zu schlecht war. Sonntag für Sonntag zogen sie mit ihren Bootswagerln zum Bahnhof, von manchen unwissenden Leuten mit spöttischen oder mitleidigen Blicken betrachtet.

Für Flußwanderungen lag unser altes Eger einflaich ideal. Es bildete den Mittelpunkt von vier großen Flußgebieten: Main, Naab, Eger und Saale. Außerdem konnten in der nächsten Umgebung noch viele kleine Flüßchen befahren werden: Wondreb, Röslaiu, Elster, Fichtelnaab, Waldnaab, Heidenaab, Mies usw. Ein großer Vorteil für die Flußwanderer waren die ausgezeichneten Bahnverbindungen, die Eger als Bahnknotenpunkt bot.

Unser wichtigster Wanderfluß war selbstverständlich die Eger. Bei gutem Wasserstand befuhren, wir sie ab Königsmühle, am Ausgang des Wellertales. Sonst aber begannen unsere üblichen Sonntagsfahrten auf der oberen Eger in Hohenberg. Die Bahn brachte uns nach Schirnding, von dort zogen wir unsere Bootswagerln auf der Straße bis nach Hohenberg. Nach einem kleinen Imbiß und einem Schoppen Wein beim Singerwirt ging es auf dem schmalen, steilen Fußweg zur Eger hinunter.

Beim Säuerling bauten wir die Boote auf und schoben sie ins Wasser. Die nun folgende Strecke war trotz der vielen Wehre, die sich uns in den Weg stellten, eine der schönsten im Egerland. Der Fluß windet sich mäanderartig zwischen Wiesen und Weidenbüschen durch eine leicht wellige, überaus liebliche Tallandschaft. Die flotte Strömung trägt das Boot rasch dahin. Zur rechten grüßen St. Anna und der Grünberg mit seinem markanten Turm. Bei Fischern wurde das erste Wehr umgetragen, das zweite erwartete uns bei der Markhausener Mühle.

Die Markhausener Mühle

Eine leichte Holzbrücke wird durchfahren, die Strömung wird zügig und drückt uns bei den engen Kehren gegen die dichten, weit in den Fluß ragenden Zweige der Uferbüme, Weiden und Erlen. In Mühlbach hält uns das dritte Wehr auf und in Zettendorf das vierte. Zwischen diesem Dorf und der Rollenburg, der wir uns jetzt langsam nähern, treffen wir auf die ersten „Freibäder“ aus Eger. Der beliebte und stark frequentierte Kur- und Badeplatz „Waldspitz“ gleitet an unseren Augen vorüber.

Ausflugsgaststätte „Insel Mühlerl“

Das letzte Wehr vor Eger sperrt den Fluß bei der Gaststätte „Insel Mühlerl“, wo wir gerne am Paddlertisch Platz nehmen und ein Glas (keine Tasse!) Kaffee und ein Stück Gugelhupf genehmigen. Die freundlichen Wirtsleute, Thederl sen. und jun., waren uns Paddlern wohl gesonnen. Das letzte Stück bis zur Bleiche wurde vor den kritischen Blicken der sonntäglichen Spaziergänger in betont guter Haltung und mit zügigen Paddelschlägen bezwungen. Eine kleine, aber sehr erholsame Fahrt fand hier ihr Ende.

Die Flußstrecke von Eger abwärts bis etwa Königsberg, wurde von vielen Faltbootfahrern als nicht lohnend und langweilig bezeichnet. Sehr zu Unrecht. Zwar fließt die Eger dort träge durch eine flache, fast baumlose Gegend, die Hügel und Berge treten weit zurück, die Ufer sind verschilft und oft, hauptsächlich im Herbst, ist der ganze Flußlauf streckenweise mit Wasserpflanzen so verwachsen, daß dem Flußwandierer nur eine schmale Rinne bleibt. Aber wer die Natur liebt, der findet auch in dieser Gegend viel Liebenswertes. Auch in der ödesten Landschaft sorgt der Fluß immer für Abwechslung. Staunenden Auges erkennt der Flußwanderer die Wunder der Natur, hier einen brütenden Wasservogel, dort die hohe Wand des Schilfs mit seinem geheimnisvollen Tierleben, er beobachtet die Flugkünste dier Flußmöve und des Kiebitz und genießt die Einsamkeit und Stille eines sonnigen Tages. Vom Boot aus betrachtet, wechseln die Uferbilder sehr rasch, Dörfer und Brücken schwimmen vorbei und Kühe stehen im Wasser und glotzen neugierig. Hinter Nebanitz, bei Kulsam, kommt ganz still und bescheiden die Wondreb herein, fast übersieht man die Mündung, so verwachsen sind die Ufer. Und ehe man es glaubt, taucht Königsberg auf. Bei dier Brücke bauen wir ab, zum Bahnhof ist es nicht mehr weit.

Zwischen Königsberg und Falkenau wird die Flußlandschaft bedeutend abwechslungsreicher. Der Kulmer Berg tritt ganz nahe heran und streckenweise säumen Wälder die Ufer. Das Wehr bei Daßnitz ist leicht befahrbar. Vor Falkenau fließt die Eger in einem regulierten Bett, wodurch die natürliche Schönheit der Flußufer restlos zerstört wird. Aber gleich hinter Falkenau, nach dem hohen Wehr der Chem. Fabrik, strömt die Eger wieder in ihrem natürlichen Bett dahin. Die Gegend wird, je näher man gegen Elbogen kommt, immer reizvoller. Schöne bewaldete Hügel begleiten den Flußwanderer, manch schönes Uferplätzchen lädt zum Verweilen ein. Um das hoch auf einem Berg gelegene Elbogen zieht der Fluß eine große Schleife. Wir durchfahren den weiten Bogen der neuen Betonbrücke, die an Stelle der alten Kettenbrücke den Fluß überspannt und betrachten, im treibenden Boot liegend, die am steilen Berghang klebenden alten, romantischen Häuschen. Nach Passieren der zweiten Brücke einer Eisenbahnbrücke, beginnt der schönste Teil dieser Tagesfahrt, das wildromantische Tal bei Aich. Dicht bewaldete Höhenrücken und schöne gepflegte Wege säumen die Ufer und aus dem wogenden Grün der Bäume wachsen steile, bizarre Felsen empor. Einer davon ist der bekannte, sagenumwobene Hans-Heiling-Felsen. Langsam dahintreibend, genossen wir dieses herrliche Stück Egertal. Nach dem Dorfe Aich belebt sieh das Tal immer mehr. Ortschaft reiht sich an Ortschaft, die Wälder treten zurück und wir nähern uns dem Weltkurort Karlsbad. In der Badeanstalt von Fischern bauen wir die Boote ab.

Die nun folgende Strecke von Karlsbad bis Pürstein liegt bereits außerhalb unserer Egerländer Heimat, aber weil sie gar so schön und interessant war, will ich sie kurz beschreiben. Die Eger gebärdet sich in diesem Teil wie ein richtiger, kleiner Wildfluß und für uns bedeutet diese Fahrt die beste Vorübung für die Wildflüsse der Alpen. Gleich nach dem Einsetzen hinter der neuen Betonbrücke nahm die Strömung die Boote in rascher Fahrt mit sich fort. Unzählige, tückische Steine und Felsbrocken lagen verstreut im Fluß, oft nur wenig vom Wasser überspült, und forderten schärfste Aufmerksamkeit. Beim Ausflugsgasthof „Hubertus“ schaukelten wir mit Hurra durch den ersten großen Schwall, das einzige Wehr dieser Strecke, vor Gießhübel, hielt uns nicht lange auf, mit elegantem Schwung und sanftem Aufrumpeln wurde es im Sturm bezwungen. Bald durchfuhren wir die alte, überdachte Holzbrücke von Rodisfort und dann kam Weichau, wo der alte Egerfluß zu unserer überaus großen Freude den längsten und herrlichsten Schwall hingebaut hatte. Herrgott war das ein Vergnügen, im schmucken Boot sich durch die Täler und Höhen der hochgehenden Wellen tragen zu lassen.

Nach Weichau legten wir regelmäßig eine kurze Mittagsrast ein und dann stiegen wir wieder in die Boote. Die Gegend, die der Fluß durcheilte, ist eine der schönsten unserer alten Heimat. Dichte Wälder, weiche, mattenartige Wiesen, sanfte Höhenrücken, steilaufragende, bewaldete Kegelberge und freundliche, saubere Ortschaften umsäumen die Ufer. Die Orte Wickwitz, Warta und das herrlich gelegene Wotsch eilten vorüber, der Fluß blieb immer gleichmäßig lebhaft und sportlich abwechslungsreich, und bald, viel zu bald gelangten wir nach Pürstein. In einem nahe der Brücke gelegenem Wirts-garten beschlossen wir bei einem Glase Wein diese uns lieb gewordene Fahrt, besprachen noch lebhaft unsere Erlebnisse und ließen uns dann, von der Buschtiehrader Eisenbahn wieder in die alte Staufenstadt zurückbringen.

Wenn ich heute, nach etwa 20 Jahren, an diese wundervollen Wanderfahrten auf dem Wasser zurückdenke, kommt mir immer wieder jene Zweitagesfahrt in den Sinn, bei der unser allseits beliebter Faltbootkamerad Schorsch sein sprichwörtliches Pech so drastisch demonstrierte, daß wir an diesen zwei Tagen aus dem Lachen gar nicht mehr herauskamen. Der herzensgute Schorsch war einer jener überaus Vorsichtigen, die ständig mit Sicherheitskoeffizient 300 operierten, denen aber das Schicksal trotzdem die tollsten Streiche spielt.

Am Wege vom Karlsbader Bahnhof zum Aufbauplatz fing es an. Schorsch blieb zurück, weil er an seinem hochbeladenen Bootswagen immer wieder etwas zu richten hatte. Unsere Bootswagen waren ebenso schwer beladen, aber wir fuhren unbekümmert drauf los. Plötzlich hörten wir hinter uns ein dumpfes Gepolter und furchtbares Schimpfen: Schorschs Bootswagen war zusammengebrochen und die einzelnen Gepäckstücke bildeten einen wüsten Haufen. Mit Hilfe eines mitleidigen Radlers gelang es ihm dann doch, Boot, Zelt und Rucksack zum Fluß zu schaffen. Nach dem Aufbauen suchte er das Ufer gründlich nach spitzen Steinen ab, schob dann ganz vorsichtig sein Boot ins Wasser und stieg noch vorsichtiger ein. Aber kaum hatte er die Flußmitte erreicht, paddelte er mit größter Eile zum Ufer zurück, wobei sein Boot seltsamerweise immer größeren Tiefgang bekam. Die Ursache: ein spitzer Stein hatte ihm, dem Vorsichtigen, ein Loch mittlerer Größe in die Gummihaut gestoßen. Nun, der Schaden war bald behoben, die Fahrt konnte endlich beginnen und die nassen Bootsschuhe stellte Schorsch zum Trocknen vorsichtig auf das flache Hinterdeck. Aber schon nach kurzer Fahrt mußte er die betrübliche Feststellung machen, daß einer der Schuhe unbemerkt ins Wasser gerutscht war. Jetzt aber konnten wir. unser Lachen nicht mehr unterdrücken und platzten heraus. Schorschs Kopf lief rot an. Aber die Pechserie war noch nicht zu Ende. Am Abend erhob sich ein kräftiger Wind und rüttelte an unseren kleinen Zelten. Sofort begann unser Schorsch die Leinen seines Zeltes mit Stricken zu verstärken und schwere Felsbrocken auf die Zeltheringe zu legen. Wir anderen taten gar nichts und vertrauten unserem guten Stern.

In der Nacht wurde der Sturm immer stärker, es begann zu regnen. Schorschs Zelt stürzte ein und begrub den Schlafenden unter sich. Im Regen und Sturm mußte er seine Hadernburg wieder aufbauen. Durch die dünnen Zeltwände hörten wir seine schrecklichen Flüche. Am anderen Tag, beim Frühstück in strahlender Morgensonne, langte Schorsch nach seinem Stück Teebutter, welches er am Abend zwecks Frischhaltung unter den Zeltboden geschoben hatte. Aber siehe da, es war nur noch knapp die Hälfte der Butter vorhanden, die andere Hälfte hatte in der Nacht eine Ratte oder sonst ein Nagetier verspeist. Das Vieh mußte Hunger gehabt haben, denn zum Nachtisch fraß es noch ein faustgroßes Loch aus Schorschs Zeltwand heraus. Trotz der Tragik dieses Vorfalls konnten wir ein brüllendes Gelächter nicht unterdrücken. Schorsch war an diesem Tage schlecht aufgelegt und reagierte sauer, was wir ihm aber nicht weiter nachgetragen haben.

Die Röslau konnten wir nur bei gutem Wasserstand und nur im Frühjahr befahren. Im Sommer bildeten die Büsche an beiden Ufern an vielen Stellen ein undurchdringliches Dickicht, Schon in Seußen konnten die Boote eingesetzt werden, aber meistens bauten wir sie unterhalb der Schirndinger Brücke auf, am Rande der großen Wiese, wo jetzt immer der Egerer Birnsunnta abgehalten wird. Das Flüßchen drängt sich in vielen engen Windungen zwischen dichtbewachsenen Ufern hindurch. Stellenweise mußten wir uns durch das Gestrüpp der Zweige mühsam mit eingezogenen Köpfen hindurcharbeiten. Vor Ratsam wird die Landesgrenze überquert, die uns sodann am linken Röslauufer bis zur Mündung in die Eger begleitet. Sowohl bei der Röslau-, als auch bei der Egerfahrt überschritten wir die Landesgrenze an unkontrollierten Punkten und verstießen damit, streng genommen, gegen die übergangsvorschriften. Aber weder die deutschen noch die tschechischen Grenzbeamten haben uns jemals die geringsten Schwierigkeiten bereitet, obwohl wir sie des öfteren am Flusse angetroffen haben.

Ein anderer schöner Wiesenfluß unserer Heimat war die Wondreb, die für uns schon ab Steinmühl, oberhalb Waldsassen, befahrbar war. Sie berührt das von den Egerem einst viel besuchte Waldsassen, biegt vor Hundsbach nach Schloppach ab (am linken Ufer, etwas erhöht, sehen wir die verstreut liegenden Höfe von Egerteich), durchfließt das Fabriksgelände von Schloppenhof und stürzt sich dann in eine Art Schlucht, die sich bis zur Kunstlederfabrik vor Pograth dahinzieht. Dieser tief eingeschnittene, von Wäldern umsäumte Graben bildete für uns den schönsten und fahrtechnisch interessantesten Teil. Das Gelände zwischen Pograth und Schöba kennt jeder Egerer, es wäre nur zu sagen, daß unter der Schöbaer Betonbrücke sehr viel Glasscherben und alte Töpfe im seichten Flußbett herumlagen. Reizvoll wurde die Gegend erst wieder hinter der Eisenbahnbrücke, wenn wir rechts die alten egerländer Dörfer Mies und Stabnitz und links den Kirchturm von Treunitz erblickten. Auf dieser Strecke mußten wir einmal auf einer Frühjahrsfahrt an manchen Stellen erst das Eis aufbrechen, ehe wir hindurch konnten, und die Bauern haben — mit Recht — die Köpfe geschüttelt über die narrischen Stoderer. Treunitz bot, vom Flusse aus betrachtet, einen überaus malerischen Anblick, viel hübscher, als wenn man sich dem Dorfe auf der Straße näherte. Hinter der Brücke, die bei Gaßnitz die Kaiserstraße über den Fluß leitet, paddelten wir durch eine abwechslungsreiche und anmutige Gegend mit fetten Wiesen, kleinen Wäldchen und wogenden Kornfeldern und gelangten schließlich nach Kornau, einem Dorfe, das seinen wohlklingenden Namen durchaus verdient. Bald lag auch die Straßenbrücke bei Kulsam hinter uns und nach kurzer Zeit erreichten wir die Stelle, an der sich die Wasser der Wondreb mit denen der Eger vermischten. Eine interessante Fahrt auf einem kleinen Wiesenfluß durch einen schönen Teil des Egerlandes fand hier ihr Ende.

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